Wunsiedel – Klöße als Kampfmittel gegen Rechtsextremismus? Da drängen sich Fragen auf, etwa die, was das eine mit dem anderen zu tun hat. „Bei uns eine ganze Menge“, sagt Svenja Fassbinder, Sprecherin von „Wunsiedel ist bunt“. Am Samstag hatte das Bündnis nämlich eingeladen zu „Mittag am Markt“ in Wunsiedel. Und etwa 200 hungrige Menschen waren gekommen, um gemeinsam vor dem Rathaus zu essen, zu reden und vor allem zu feiern: Während in der Vergangenheit an diesem Augustwochende nämlich tausende Neonazis zum Grab des einstigen Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess gepilgert waren, fand sich nun die Zivilgesellschaft zum Essen unter freiem Himmel zusammen.
„Wir haben beim womöglich ersten antifaschistischen Kloßessen Oberfrankens zu Tisch gebeten“, sagt DGB-Regionssekretärin Tami Pohl augenzwinkernd. Als Mitglied im Bündnis und bekennender Knödel-Fan steuerte sie gern etwas zur Aktion bei, deren Hintergrund schnell erzählt ist: „Bei einem unserer Bündnistreffen haben wir überlegt, wie wir an Gelder für unsere demokratische Arbeit kommen. Mittag am Markt ist ein etabliertes und tolles Format, um etwas fürs Bündnis einzunehmen und gleichzeitig Menschen unterschiedlichster Hintergründe an einen Tisch zu bekommen.“ Beim Brainstorming kam der Gedanke an „Wunsiedel isst bunt“ auf, Klöße gibt es in allen Kulturen weltweit, „und so war die Idee vom ,Clash of the Knierla' geboren.“
Schnell fanden sich Mitstreiter: Esra Özekimci zum Beispiel, die nicht nur zweite Bürgermeisterin von Kirchenlamitz ist, sondern deren Familie dort auch eine Gaststätte betreibt. Unter dem Motto "Stark und groß Dank Kloß und Soß" servierte sie den fränkischen Klassiker mit Schwammerlbräih und wahlweise vegetarischer Brühe. An den herd gestellt hat sich auch Uwe Behrendt, Vorsitzender der IG BAU Oberfranken. Er verband mit seinem Beitrag europäische Geschichte mit Familiengeschichte: „Mein Vater stammt ursprünglich aus Ostpreußen, und er hat wunderbare Königsberger Klopse gekocht. Auch er verlor am Ende des Zweiten Weltkriegs seine Heimat und hat als Flüchtling in Oberfranken eine neue gefunden. Seine Rezepte hat er mitgebracht und ich koche noch immer gerne danach.“
Stefan Frank, vielen bekannt durch seine Arbeit im Wunsiedler Bürgerforum und mit dem Jugend-Kunstmobil, ist ebenfalls zugezogen, „aber nur aus der Oberpfalz“. Er bot Semmelspouzn mit Musik an. Etwas exotischer daher kamen die persischen Koofteh Anar o Gerdoo - Hackbällchen in Granatapfel-Walnuss-Sauce –, die mit Reis und Minzsoße serviert wurden. Oder die Coconut-Dumplings von den Salomonen, kleine Bällchen aus Kokosflocken und Banane, die als Dessert gedacht waren. Die Küche Südtirols, Österreichs und Tschechiens repräsentierten Spinatknödel mit Butter und Parmesan sowie Marillenknödel mit Zimtzucker und Vanillesoße.
„Da war für jeden etwas dabei“, fasste Christine Lauterbach zusammen, ebenfalls Sprecherin von „Wunsiedel ist bunt“. Ob vegetarisch oder halal, herzhaft oder süß – jeder sollte mitessen können. Deshalb bot „Wunsiedel ist bunt“ auch die Möglichkeit des „Soli-Knödel“ an: Wer sich die Portion nicht leisten konnte, darf auch gegen Spende etwas haben. Und mehr bezahlen war selbstverständlich immer möglich – schließlich sollen die Einkünfte für den Spendenlauf im November verwendet werden.
Dessen Neuauflage geht auf 2014 zurück. Damals krönte „Wunsiedel ist bunt“ seine kreativ-fröhliche Protestreihe mit einem weltweit beachteten Coup: Dem Spendenlauf von „Rechts gegen Rechts“. Hintergrund war der Jahrzehnte währende Kampf gegen die Bemühungen Rechtsextremer, aus Wunsiedel einen Neonazitreffpunkt zu machen. Alljährlich versammelten sich die Ewiggestrigen zum Todestag des Hitlerstellvertreters Rudolf Hess in der oberfränkischen Kleinstadt. Zu Spitzenzeiten waren es einige tausend Neonazis aus ganz Europa. Mit Beharrlichkeit wehrten sich die Wunsiedler gegen die rechten Umzüge, aber auch mit juristischem Sachverstand: Altlandrat Dr. Peter Seißer hatte vor genau 25 Jahren ein Gesetz angestoßen, dass nun seit 20 Jahren die Aufmärsche zum Hess-Grab für gesetzeswidrig erklärte. Das Grab ist inzwischen aufgelassen, das Gesetz erschwert es Neonazis bis heute, NS-Größen zu verherrlichen.
Die Neonazis klagten seinerzeit und verloren, suchten Schlupflöcher und fanden – wieder einmal – bunten Widerstand: Beim „unfreiwilligste Spendenlauf der Welt“, floss für jeden von den Rechtsextremen gelaufenen Meter Geld an die Aussteigerorganisation Exit. 2024, zum zehnten Jahrestag, hatte „Wunsiedel ist bunt“ erneut einen Spendenlauf organisiert, dieses Mal von Hobbysportlern zugunsten von demokratiefördernder Arbeit. Das kam so gut an, dass der Spendenlauf auch 2025 wiederholt werden soll. Und dafür ludt „Wunsiedel ist bunt“ die Menschen ein zum „Clash of the Knierla – Futtern gegen Fachismus“.