Stiedl: „Junge Menschen brauchen nach ihrer Ausbildung eine verlässliche berufliche Perspektive und materielle Sicherheit.“
Ausbildungsfremde Tätigkeiten, unbezahlte Überstunden und regelmäßige Überschreitungen der wöchentlichen Höchstarbeitszeit durch minderjährige Auszubildende sind nach wie vor Alltag in vielen bayerischen Ausbildungsbetrieben. Zu diesen und weiteren besorgniserregenden Ergebnissen kommt der bayerische Ausbildungsreport 2022 der DGB-Jugend Bayern, der in diesem Jahr bereits zum neunten Mal veröffentlicht wurde.
Zwar sind insgesamt fast drei Viertel der befragten Auszubildenden in Bayern (73,5 %) mit ihrer Ausbildung zufrieden, jedoch ist die Zufriedenheit auch in diesem Jahr stark vom Ausbildungsberuf abhängig: So gehören zu den bestbewerteten Berufen die Maurer*innen (95,5 %), die Elektroniker*innen für Betriebstechnik (94,7 %), die Mechatroniker*innen (88,2 %) und die Zerspanungsmechaniker*innen (81,8 %). Die geringste Zufriedenheit zeigten dagegen die Metallbauer*innen (60 %), die KFZ-Mechatroniker*innen (53,9 %), die medizinischen Fachangestellten und die Köch*innen (jeweils 52,4 %).
Während die Pandemie mit Blick auf die Ergebnisse insgesamt wenig Einfluss auf die Bewertung der Ausbildungsqualität zu haben scheint, sieht Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB Bayern, die Auswirkungen von Corona auf den Ausbildungsmarkt mit Sorge: „Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt noch immer weit unter dem Vor-Corona-Niveau. Insgesamt gibt es zu viele Betriebe, die nicht ausbilden. Das sind oft auch noch dieselben, die sich am lautesten über den Fachkräftemangel beklagen. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.“
Lina Straßer, Referatsjugendsekretärin im DGB Bayern, erneuert daher die Forderung nach einer gesetzlichen und umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie: „Die Ausbildungskosten sollen über einen Fonds getragen werden, in den alle Betriebe einzahlen. Auf diese Weise müssen sich dann auch Betriebe an der Finanzierung der Ausbildung beteiligen, die selbst nicht ausbilden."
Der thematische Schwerpunkt des diesjährigen Ausbildungsreports liegt auf der Berufsorientierung. Die schulische Berufsorientierung schnitt in der Befragung schlecht ab: Fast zwei Drittel bzw. 63,1 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen an der Schule kaum bei der Berufswahl geholfen wurde. Darüber hinaus haben nur 31 Prozent der Befragten die Berufsberatung der Agentur für Arbeit genutzt. Von ihnen gaben außerdem rund 34 Prozent an, dass sie ihnen „weniger“ oder „gar nicht“ geholfen hat. „Die Jugendberufsagenturen müssen mit ihrer Arbeit sichtbarer und noch enger als bisher mit den Schulen zusammenarbeiten“, so Straßer. Zudem müsse die schulische Berufsorientierung in allen Schulformen gestärkt werden. „Das Ziel muss sein, dass niemand im Übergang von der Schule in die Ausbildung verloren geht“, betont Straßer.
Der diesjährige Report zeigt darüber hinaus, dass immer noch viele Ausbildungsbetriebe ihren minderjährigen Auszubildenden regelmäßig Überstunden aufbürden. Dies ist für 31 Prozent der Auszubildenden unter 18 Jahren der Fall – und nur 61 Prozent von ihnen erhalten hierfür einen Freizeitausgleich. 9 Prozent der unter 18-jährigen Auszubildenden müssen gar im Durchschnitt mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Zwar sieht Stiedl im Vergleich zum letzten Report einen Fortschritt (2019: 13,5 %), der bayerische DGB-Vorsitzende übt dennoch scharfe Kritik an diesem Vorgehen: „Derartige Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz sind in manchen Branchen noch immer an der Tagesordnung. Wir fordern daher die zuständigen Aufsichtsbehörden auf, aktiv dagegen vorzugehen und auch vor Sanktionen nicht zurückzuschrecken. Hierfür braucht es allerdings verstärkte Betriebskontrollen und deutlich mehr Personal“, betont Stiedl.
Laut Stiedl sei es daher auch „keine Überraschung“, dass über ein Fünftel der Auszubildenden „immer“ oder „häufig“ Probleme haben, sich in ihrer Freizeit zu erholen. Dabei können psychische und körperliche Belastungen verschiedene Ursachen haben, etwa auch die Unsicherheit bezüglich einer anschließenden Übernahme nach Abschluss der Ausbildung. So wussten über die Hälfte aller befragten Auszubildenden aus dem 3. Ausbildungsjahr zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht, ob sie nach der Ausbildung übernommen werden. „Junge Menschen brauchen nach ihrer Ausbildung eine verlässliche berufliche Perspektive und materielle Sicherheit. Daher müssen alle Auszubildenden im Anschluss an ihre erfolgreich abgeschlossene Ausbildung einen Anspruch auf eine unbefristete Übernahme erhalten“, so Stiedl.
Hintergrund
Der jährliche Ausbildungsreport für Bayern liefert Zahlen und Fakten für eine Debatte zur Ausbildungsqualität und weist darüber hinaus auf erhebliche Missstände in der Ausbildung hin. Für diese repräsentative Studie wurden im Zeitraum von September 2020 bis Frühjahr 2022 mehr als 1.300 Auszubildende befragt. Aufgrund der Corona-Pandemie war der Befragungszeitraum diesmal länger als gewöhnlich. Damit deckt der Report jedoch die wesentliche Zeitspanne der pandemiebedingten Einschränkungen ab.
Den Ausbildungsreport Bayern 2022 können Sie hier herunterladen.